, Christian Keller, PrimeNews-Gründer/hn

2020_17: Helmut Hubacher ist nicht mehr

Mutiger Kämpfer für soziale Gerech­tigkeit – ein Nach­ruf. Helmut Hubacher war ein grosser Sozial­demokrat, aber auch ein brillanter Journalist. Vieles habe ich von ihm gelernt (Zitat von Christian Keller, Gründer von Primenews).

Es war im Jahr 2005 während der «BuchBasel» in den Hallen der Basler Messe. Ich war damals 22 Jahre alt und betrieb gemeinsam mit einigen jungen «Wilden» das Schweizer Jugendmagazin «Zündstoff». Unser Slogan, stets abgedruckt auf der Titelseite, lautete: «Mitten ins Gesicht».

An unserem Stand tauchte auf einmal ein grossgewachsener, elegant gekleideter älterer Herr auf, der neugierig in einem Exemplar unserer neusten Ausgabe blätterte und damit begann, mir präzise Fragen zu stellen. Mir war sofort klar, dass es sich um Helmut Hubacher handelte, auch wenn ich damals nur wenig über diese einst so bedeutende Figur in der Schweizer Politik Bescheid wusste.

Alt Nationalrat und SP-Parteipräsident Hubacher, daran erinnere ich mich noch sehr genau, erkundigte sich vor allem nach unserer politischen Positionierung. «Wir sind nicht politisch, sondern setzen uns mit politischen Themen auseinander. Wir selber beziehen dabei nicht Stellung», erklärte ich ihm. 

«Das verstehe ich nicht. Habt ihr keine Meinung?», fragte mich der frühere Chefredaktor der linken «Arbeiter-Zeitung» erstaunt. Es entwickelte sich ein kurzes kontroverses Gespräch, dann verabschiedete sich der berühmte Sozialdemokrat freundlich mit einem «Zündstoff» in der Hand und wünschte uns viel Glück.

Gratulationen aus dem Jura

Nur Tage später fand ich zu meiner grossen Überraschung zuhause – ich wohnte noch bei den Eltern – einen Brief vor, der im jurassischen Courtemaîche abgeschickt und an mich adressiert worden war. Um wen konnte es sich bloss handeln?

Verfasst war der Text auf einer Schreibmaschine, die Sätze waren kurz und prägnant formuliert. Der Absender: Helmut Hubacher.

Er habe das Magazin nun gelesen und wolle mir «mitten ins Gesicht» ein Kompliment machen. «Das Heft ist gerade auch für einen älteren Herrn, wie ich einer bin, interessant. Man(n) spürt den Puls der Jungen, vernimmt ihre Stimme, erfährt über ihre Probleme. Das Ganze süffig serviert. Ich bin beeindruckt», schrieb Hubacher und schloss mit herzlichen Grüssen.

Dieser Brief gehört zu den Trouvaillen in meinem kleinen Privatarchiv, und als die traurige Meldung von Hubachers Tod über die Newsticker lief, habe ich ihn wieder hervorgeholt.

Ich finde, die wenigen Zeilen sagen vieles aus über sein offenherziges Wesen und über seine aufgeschlossene Art, der Welt zu begegnen.

Manch andere verdiente Polit-Grösse hätte mir an der «BuchBasel» wohl erklärt, wie «guter Journalismus» zu funktionieren hat. Hubacher war anders: Er hörte dem 22-Jährigen, der den Mund ziemlich voll nahm, interessiert zu – und meldete sich danach sogar noch mit einem persönlichen Schreiben. Das rührt mich bis heute.

«Moskau einfach»

Als einer, der die grossen Schlachten des linken Anführers in den Siebziger- und Achtzigerjahren nicht miterlebt hat, war es für mich anfänglich schwer nachvollziehbar, weshalb die Bürgerlichen im 2-Meter-Hünen die Verkörperung des «roten Staatsfeinds» ausmachten – denn das war er, so wie ich ihn kennenlernte, ganz bestimmt nicht.

Niemand metzelte in Kommentaren die kommunistische Partei der Arbeit (PDA) brutaler nieder als Hubacher – aber niemand machte sich auch unerschrockener daran, äusserst fragwürdige Beschaffungsgeschäfte bei der Schweizer Armee unter die Lupe zu nehmen. 

Die Missstände, die der Präsident der nationalrätlichen Militär-Kommission aufdeckte und die jeweils auf verschlungenen Pfaden den Weg zu den Zeitungsredaktionen fanden: Es waren Skandale, welche die dominante bürgerliche Mehrheit in Bern ins Licht einer verfilzten Kaste rückten, die in Hinterzimmern überteuerte Rüstungsdeals abschloss und das Steuergeld zum Fenster hinauswarf.

Hubacher gelang es zum Beispiel mit einer simplen Reise nach Bonn aufzuzeigen, dass die Schweiz für den Kauf von 420 Leopard-Panzern zum Preis von 4,5 Milliarden Franken doppelt so viel bezahlen würde wie die Bundeswehr – ein ungeheuerlicher Vorgang.

Derartige Enthüllungen machten ihn zum gefürchteten Gegner, zum verhassten Störefried. Man wünschte ihm, wie Bürgerliche damals zu sagen pflegten, wohl tausendfach «Moskau einfach».

Ein ideologisch verblendeter Klassenkämpfer oder Stalin-Anbeter war Hubacher aber gerade nicht. Nein, dafür stand der ehemalige SBB-Beamte viel zu sehr mit beiden Beinen im Leben. In Basel wirkte er als bodenständiger Gewerkschafter, der sich zwar unerbittlich für die Interessen des kleinen Mannes und der kleinen Frau einsetzte, allerdings dem Arbeitgeber noch Respekt zollte.

Hubacher überliess die VIP-Anlässe und Apéro riches den Cüpli-Sozialisten und verwendete seine Zeit für Anliegen, welche die Menschen an ihn heran­trugen.

In einem seiner zahlreichen Bücher («Das habe ich gerne gemacht») hielt er fest, wie ihn die unternehmens-feindliche Einstellung unter seinesgleichen gestört habe: «Eine Firma, die rote Zahlen schreibt, zahlt weder Löhne, noch bietet sie sonst wünschbare Arbeitsbedingungen. Das ist Erfahrung Nummer eins, die ich als Gewerkschaftsfunktionär schnell begriffen habe.»

Hubacher zeigte auch nie Bisshemmungen, öffentlich die eigene Partei zu kritisieren. Ein unverschämter Höhepunkt war der Moment, als er als Parteichef SP-Bundesrat Pierre Aubert zum Rücktritt aufforderte. 

Bei einem Interview, das ich einmal als Bundeshaus-Korrespondent der Basler Zeitung mit ihm führte, bekam SP-Präsident Christian Levrat sein Fett weg. Im Wahlkampf die Migration nicht zu thematisieren, sei 2015 ein Fehler gewesen.

Prompt wetterte Levrat dünnhäutig im «Blick», die «rechten Journalisten» hätten «selten dumme und plumpe Fragen» gestellt, ohne auch nur mit einem Wort auf die inhaltlichen Feststellungen des prominenten Parteikollegen einzugehen.

Hubacher bekam das mit und reagierte auf geniale Art. In seiner wöchentlichen BaZ-Kolumne verglich er die Politik mit dem Boxen: «Wer im Ring nur austeilen, aber nicht einstecken kann, ist schnell K.O. Politiker tun gut daran, auf Kritik nicht mimosenhaft zu reagieren.»

Direkter Draht zum Volk

Wenn ich mir vor Augen führe, wie dieser Tage Exponenten von Basler SP und Grünen auf peinliche Art die desaströsen Vorgänge beim Historischen Museum und das Führungsversagen der grünen Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann schönreden, muss ich an Hubacher denken.

Unter seiner Ägide wäre – im Namen der Glaubwürdigkeit – Klartext gesprochen worden. Er war es übrigens auch, der SP-Regierungsrat Hans-Peter Wessels nach der Millionen-Affäre ums Elsass-Tram zum Rücktritt aufforderte.

Dass bei ihm «98 Prozent aller Einladungen» im Papierkorb landeten, wie er einmal im Rückblick erklärte, er aber als Nationalrat wöchentlich eine Bürgersprechstunde durchführte, ist auch so eine persönliche Haltung, mit der er mich beeindruckt hat.

Hubacher überliess die VIP-Anlässe und Apéro riches den Cüpli-Sozialisten und verwendete seine Zeit für Anliegen, welche die Menschen an ihn herantrugen.

So setzte er sich etwa für einen Bauarbeiter ein, dem ein Blumentopf vom Dach gefallen war und der für den Schaden aufkommen sollte. Kaum hatte sich der «Herr Nationalrat» in der Angelegenheit erkundigt, teilte ihm der Vermierter mit, seiner Sekretärin sei «ein Fehler» unterlaufen – sellbstverständlich übernehme die Haftpflicht-Versicherung die Kosten.

Zahlungsbefehl von 10 Millionen Franken, weil Hubacher Enthüllungs-Geschichten über die Basler Globe Air veröffentlicht hatte. Die Forderung von Peter G. Staechelin hatte vor Gericht keine Chance, Hubacher wurde in allen Punkten freige­sprochen.

Knall­harter Rechercheur, der sich nicht einschüchtern liess

Begeistert hat mich Hubacher aber vor allem mit seinen journalistischen Leistungen, die mir – weil ich ihn lange nur als Politiker sah – erst mit der Zeit bewusst geworden sind.

So arbeitete ich einmal für die Basler Zeitung die Globe Air-Katastrophe auf. 1967 war eine Maschine der Basler Chartergesellschaft – gegründet vom Daig-Abkömmling Peter G. Staechelin – in Zypern abgestürzt. Erstaunt stellte ich fest, dass Chefredaktor Hubacher und sein Team von der «Arbeiter-Zeitung» in den Monaten zuvor unglaubliche Recherchen publiziert hatten.

Dabei ging es nebst gravierenden Führungsmängeln auch um den schwerwiegenden Vorwurf, dass bei der Wartung der Flugzeuge nicht die höchsten Standards gelten würden.  

Eine Übermacht an Anwälten versuchte den unbequemen Journalisten zum Schweigen zu bringen, der durch das Unglück in Zypern auf tragische Weise Recht erhalten sollte. Andere Medien übernahmen unkritisch die Haltung der Globe Air-Führung und warfen ihm «tendenziöse Berichterstattung» vor.

«Mit derartigen Reaktionen muss ein Redaktor immer rechnen, wenn er nicht nur über Himbeersirup schreibt» meinte Hubacher dazu, ohne sich von seinem investigativen Kurs abbringen zu lassen.

Nach dem Konkurs der Globe Air schickte ihm Staechelin von seiner Residenz in Monaco eine monströse Schadensersatz-Forderung in der Höhe von 10 Millionen Franken (vor Gericht blieb sie ohne Chance). Eine Kopie dieser «Trophäe» hat mir Hubacher einmal per Fax zugeschickt. Seither hängt das Schreiben in meinem Büro als stilles Mahnmal, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Helmut Hubacher mit seiner Frau Gret anlässlich der Premiere von HD-Soldat Läppli im Theater Fauteuil. Bild: Christian Keller

Als ich Hubacher zum letzten Mal vor seinem Tod begegnete – im November 2019 an der Premiere des HD-Soldat Läppli im Theater Fauteuil, in Begleitung seiner Frau Gret – wirkte er zwar müde und körperlich angeschlagen.

Aber in seinen Augen funkelte unvermindert die Lust aufs Leben. Mit dem gleichen ehrlichen Interesse wie seinerzeit an der «BuchBasel» fragte er mich: «Wie läuft es mit ihrer eigenen Firma? Sind Sie zufrieden?»

Ich wiederholte gegenüber Hubacher, was ich ihm schon mehrfach gesagt hatte: «Wir wären ein gutes Journalisten-Duo gewesen». Er lachte herzhaft.

 


 

Hier den Nachruf auf der Seite der SP-Schweiz:  Nachruf Helmut Hubacher – SP-Schweiz